THOMAS SCHMIDT
UND
THOMAS RANFT
WIR MÜSSEN
AUFHÖREN, ZEUG
ZU VERBRENNEN
Wie schaffen wir es, die Energiewende als Chance für einen Neuanfang zu nutzen? Was muss sich ändern, welche Rolle spielt die Politik und was leistet die Wirtschaft? Ein Gespräch zwischen dem Vorstand Handel und Vertrieb der ENTEGA, Thomas Schmidt, und Thomas Ranft, Wetterexperte und Wissensvermittler des Hessischen Rundfunks.

Herr Ranft, haben wir überhaupt noch eine Chance, den Klimawandel zu stoppen?

T.R. Natürlich haben wir noch eine Chance! Das ist ein wenig wie beim Fußball: Das Spiel ist erst fertig, wenn abgepfiffen wird, also nicht in der 90-sten Minute, sondern nach der Verlängerung. Und beim Thema Klimawandel werden wir wohl ein Stück weit in die Verlängerung gehen müssen. Es ist eine riesige Chance, aber die haben wir nur, wenn wir sofort anfangen. Herr Schmidt, unternimmt ENTEGA genug in Sachen Klimaschutz?

T.S. ENTEGA ist bereits seit vielen Jahren ein Vorreiter der Energiewende. Wir investieren massiv in die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, um unserem hohen Anspruch der Dekarbonisierung gerecht zu werden. Aber wir brauchen natürlich noch viel mehr erneuerbare Energie. Daher ist das ein Thema, mit dem wir uns in allen Bereichen intensiv beschäftigen. Wir sind beispielsweise auch daran, unsere Netze immer stärker zu digitalisieren. Und darüber hinaus müssen wir auch unserem Auftrag gerecht werden, unsere Endkunden umfassend über die Energiewende zu beraten.

Ist das Thema Klimawandel bei den Endkunden angekommen?

T.S. Ja, das sehen wir am deutlich gestiegenen Informations- und Beratungsbedarf, sowohl bei den Privatkunden als auch bei unseren Geschäftskunden. In den Unternehmen werden ökologische Fragestellungen mehr und mehr auch zu handfesten ökonomischen Faktoren. Immer mehr Geschäftskunden fragen uns, was sie tun können, um ihren Energieverbrauch zu senken oder die erforderliche Energie selbst zu erzeugen – und dies immer unter dem Aspekt der Effizienzverbesserung.

T.R. Diverse Unternehmen haben bereits verstanden, den Klimawandel als Chance zu begreifen und positiv auszulegen. Durch die Explosion der Strompreise im vergangenen Jahr und ein weiterhin hohes Preisniveau für Strom und Gas ist es aber auch die Aufgabe der Politik, sich ganz klar dem Ziel der Dekarbonisierung zu verpflichten. Das wird alle Unternehmen zwingen, sich Gedanken über eine saubere Energieversorgung zu machen.

,,Die Bürokratie hat uns bisher zu
viele Steine in den Weg gelegt.“
Thomas Schmidt

Was müssen wir tun, damit wir die Chancen, die der Klimawandel bietet, nutzen können?

T.R. Wenn wir den Klimawandel stoppen wollen, müssen wir vor allem eines tun: Wir müssen aufhören, Zeug zu verbrennen. Und zwar jeder und weltweit. In den letzten 150 Jahren war es normal für uns, Öl oder Gas zu verbrennen, aber heute wissen wir, welche fatalen Folgen der dadurch verursachte CO2-Ausstoß hat. Das CO2, was wir heute ausstoßen, bleibt noch für 1.000 Jahre in der Atmosphäre, das sind eine Menge Generationen. Und alles, was wir in den vergangenen 150 Jahren in die Luft geblasen haben, bleibt noch 850 Jahre erhalten. Von daher ist unsere Verantwortung verflixt groß.

Deutschland trägt im internationalen Vergleich aber doch relativ wenig zum CO2-Ausstoß bei. Sollten hier nicht andere, größere Verursacher wie China oder die USA etwas tun?

T.R. Deutschland verursacht „nur“ 2 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes, weil wir den Großteil unserer Produktion nach China verlagert haben. Wenn wir das mit reinrechnen, liegen wir bei etwa 10 Prozent. Und die Chinesen spüren viel mehr, was Klimawandel bedeutet. Dort gibt es Hitzewellen, die wollen wir uns gar nicht vorstellen. Ebenso in Indien und in Afrika – egal, wo man hinschaut: Die Folgen des Klimawandels sind an vielen Stellen sehr deutlich spürbar. Und China handelt bereits entsprechend. Im vergangenen Jahr wurden in China bereits mehr Erneuerbare- Energien-Anlagen installiert als im Rest der Welt zusammen.

T.S. Um auf die Nutzung fossiler Energieträger verzichten zu können, müssen wir den Bedarf aber mit anderen Energieträgern ausgleichen. Hier wird das Thema der Speicherung in Zukunft eine große Rolle spielen, ebenso die Umwandlung von Strom zu Wasserstoff und die Digitalisierung der Netze. Bessere politische Rahmenbedingungen würden ebenfalls zu einer raschen Energiewende beitragen. Wir haben beispielsweise gefühlte zehn Jahre gebraucht, um so etwas wie Smart Meter, also intelligente digitale Stromzähler, auf den Markt zu bringen. Da hat uns vor allem die Bürokratie viele Steine in den Weg gelegt.

,,Bei der Bekämpfung des Klimawandelsmüssen wir in die Verlängerung gehen.“
Thomas Ranft

Welche Vorteile bieten Smart Meter?

T.S. Dank der Digitalisierung erlangen wir mehr Transparenz in den Netzen und können die erzeugte Energie dezentral genau dort hinleiten und speichern, wo sie benötigt wird. Ein gutes Beispiel ist die Solarsiedlung in Groß-Umstadt, hervorgegangen aus einem ehemaligen Forschungsprojekt der ENTEGA. Da haben wir nicht in jedem einzelnen Haus einen Speicher eingebaut, sondern einen großen Speicher errichtet, in den alle 20 Häuser einspeisen. So wie wir früher einzelne große Erzeugungsanlagen hatten, sprich das eine große Kraftwerk, haben wir jetzt viele kleine Erzeuger und viele Abnehmer. Und das zu koordinieren geht nicht ohne Digitalisierung und mehr Intelligenz in den bestehenden Netzen.

T.R. Solche Smart Meter sorgen auch für Aufklärung: Viele Kunden machen sich nur einmal im Jahr, nach Erhalt der Strom- und Heizungsabrechnung, Gedanken über den Energieverbrauch. Smart Meter schaffen hier mehr Aufmerksamkeit, weil dem Kunden ständig der aktuelle Verbrauch angezeigt wird.

Welche neuen Möglichkeiten der Speicherung von Energie sind denkbar oder vielleicht schon in der Entwicklung?

T.S. Wir brauchen dringend mehr Speicher, aber noch erzeugen wir gar nicht so viel erneuerbare Energien, sondern das wächst dynamisch und wir werden parallel zu diesem Wachstum auch neue Speicher entwickeln, und zwar in den unterschiedlichsten Varianten. Das können auch viele kleine Speicher sein, zum Beispiel die Autobatterie. Eine Autobatterie kann ein Haus theoretisch etwa vier Tage lang mit Strom versorgen.

T.R. Auf viele Fragen gibt es schon Antworten. Die sind zwar noch nicht perfekt, aber die sind um Welten besser als das, was wir bisher gemacht haben. Und wir werden auch in Zukunft noch eine Menge neuer Ideen haben, um Energie sauber zu gewinnen und zu speichern. Aber wir müssen weg von den alten Energiesystemen und Denkweisen und die erforderlichen Investitionssummen bereitstellen. Wir können nicht mehr lange darüber diskutieren, wir müssen jetzt handeln.

T.S. Unternehmen müssen auch noch aus ganz anderen Gründen jetzt handeln und sich ökologisch ausrichten. Denn tun sie es nicht, wird es für sie immer schwerer, neue Arbeitskräfte zu gewinnen. Junge Menschen, die in den Arbeitsmarkt eintreten, haben zumeist klare Vorstellungen davon, wie ihr Arbeitgeber in Sachen ESG – also Umwelt, Soziales und Governance – aufgestellt sein sollte. Unternehmen, die sich da nicht klar zum Thema Klimaschutz positionieren, werden es spätestens dann bereuen.

,,Auch Unternehmen werden nur überleben, wenn sie nachhaltig
handeln und ihrerseits auf
nachhaltige Lieferbeziehungen
achten.“
Thomas Ranft

T.R. Das Gleiche gilt für die Lieferketten der Unternehmen. Zulieferer werden nur überleben, wenn sie nachhaltig handeln und ihrerseits auf nachhaltige Lieferanten Wert legen. Der Volkswagen-Konzern beispielsweise nimmt gar keine Zulieferer mehr, die nicht entsprechend zertifiziert sind, weil das für VW relevant ist, nicht nur im Verkauf, sondern auch und vor allem für die Finanzierung am Aktienmarkt und damit zur Sicherung der Zukunft des Konzerns.

T.S. Was verändert die Menschen? Das sind im Grunde nur zwei Motive: Liebe und Angst. Und auch wenn Angst erstmal nicht positiv belegt ist, kann sie doch dazu beitragen, dass sich die Gesellschaft bewegt.

T.R. Ja, ich denke auch: Durch die lange und entspannte Zeit des Friedens und des wirtschaftlichen Wachstums hat sich in mehr als einer Generation das Gefühl breit gemacht, dass Demokratie und Wohlstand normal sind und man nichts dafür tun muss. Jetzt lernen wir, dass wir uns engagieren müssen, um dieses System zu erhalten. Dieses Verständnis wächst. Wir merken ja, dass sich wieder mehr Menschen engagieren.

Im letzten Winter haben private Haushalte trotz der Angst vor einer Energie-Mangellage dennoch verhalten reagiert und nur relativ wenig gespart ...

T.S. Letztlich scheitert es oft an der eigenen Bequemlichkeit, aber wir haben insgesamt doch deutliche Einsparungen gesehen, sowohl in den Haushalten als auch auf Unternehmensseite.

T.R. Die Energiekosten machen in den meisten Privathaushalten trotz allem vermutlich nicht den größten Posten in der Gesamtrechnung aus. Und viele, die es sich leisten konnten, haben die höheren Kosten akzeptiert und die Heizung im letzten Winter dann doch aufgedreht. Andere, die mehr rechnen müssen, haben aber sehr wohl ihren Verbrauch gesenkt und vielleicht nicht mehr alle Räume in der Wohnung geheizt.

T.S. Und nun fallen die Preise für Öl und Gas auch schon wieder. Aber wir müssen trotzdem dafür sorgen, dass die Menschen dauerhaft weniger Energie verbrauchen und die Heizsysteme von fossilen auf stromgeführte Systeme umstellen. Wer heute berechnet, ob sich eine neue Heizung für ihn lohnt, sollte mit deutlich höheren Preisen für Öl und Gas kalkulieren – denn diese Preise werden langfristig weiter steigen. Irgendwann in naher Zukunft werden dann ältere Immobilien, die noch fossile Brennsysteme verbaut haben, an Wert verlieren.

,, Auch aus dieser Krise werden wir gestärkt hervorgehen.“
Thomas Schmidt

T.R. Die Politik muss gewillt sein, das auch transparent zu machen und einen Ordnungsrahmen festlegen, der den Menschen aufzeigt, was zu tun ist und wie der Staat sie unterstützen kann. Wenn wir uns verpflichten, die Preise für Erneuerbare tief zu halten und sich auf der anderen Seite Gas und Öl weiter verteuern, steuert letztlich die Lenkungsfunktion des Preises die Entscheidungen der Verbraucher in die richtige Richtung. Nur muss es schneller gehen! Der Wettlauf hat bereits begonnen – und es ist ein Wettlauf um künftigen Wohlstand.

T.S. Wenn wir jetzt im Klimawandel primär die Chancen sehen und nutzen, dann werden wir in diesem Wettlauf die Nase vorn haben. Das Potenzial dafür haben wir. Deutschland ist seit jeher ein Land der Innovationen und hat in der Vergangenheit viele Krisen gemeistert. Deshalb werden wir auch aus dieser Krise irgendwann gestärkt hervorgehen.

Herr Schmidt, Herr Ranft – vielen Dank für das Gespräch.

Eine alte Stimme aus dem Lautsprecher.
Sie gehört einem Mann mit deutschem Namen,
der Englisch spricht. Er erinnert sich: An einen
nebligen Morgen. An seinen Vater, der neben
ihm steht. An der Reeling. Mitten in der Menge.
Alle schauen hinaus aufs Wasser. In dieselbe
Richtung. Und das Kind, das er damals war, im
Jahr 1920, sieht Tränen in den Gesichtern.
Auch jetzt noch – in der Tonaufnahme, die das
Museum konserviert hat - verschlägt es ihm
die Stimme: „Endlich. Nach 3.000 Meilen und
zehn Tagen auf See. Miss Liberty. Wir dachten:
Jetzt wird alles gut.“

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